Im Deutschen gibt es ein Sprichwort, das lautet: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu!“
Die meisten von Ihnen kennen dieses Sprichwort wahrscheinlich und würden ihm auch vorbehaltlos zustimmen. Natürlich bemühe ich mich um Pünktlichkeit, wenn ich selber nicht gerne auf andere warte. Oder ich bringe der Gastgeberin Blumen mit, wenn ich selber der Überzeugung bin, dass das zum guten Ton gehört und es umgekehrt auch erwarten würde.
Rein oberflächlich betrachtet würden sicher viele Menschen von sich behaupten, dass sie nach diesem Sprichwort handeln und sich entsprechend verhalten. Und doch zeigt das von Bernd Späth geschilderte Beispiel deutlich, dass das Verhalten dort kippt, wo es um Emotionen geht und darum, sich emotional in den anderen hineinzuversetzen.
Warum fällt es uns Deutschen so schwer, Gefühle zuzulassen? Wie konnte es passieren, dass aus dem Volk der Dichter und Denker eine Nation werden konnte, die nur noch rational und im Funktionsmodus unterwegs ist?
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) fand noch Worte, die von Emotionalität und Leidenschaft zeugen:
„Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein, langen und bangen in schwebender Pein, himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt, glücklich allein ist die Seele, die liebt.“
oder
„Es muss von Herzen kommen, was auf Herzen wirken soll.“
oder
„Welche eine himmlische Empfindung ist es, seinem Herzen zu folgen.“
Im Gedicht „Im Nebel“ von Hermann Hesse (1877 – 1962) lautet eine Zeile:
„Wahrlich keiner ist weise, der nicht das Dunkel kennt.“
Und von Marie von Ebner-Eschenbach (1830 – 1960) ist die Aussage überliefert:
„Nicht, was wir erleben, sondern wie wir empfinden, was wir erleben, macht unser Schicksal aus.“
Gefühle (auch die unangenehmen) gehören zum Leben dazu. Wenn wir sie nicht zulassen, werden wir zu seelenlosen Robotern, die nur nach Verstand und Vernunft entscheiden und sich selbst von der Lebensqualität abschneiden, die ein fühlendes, begeisterungsfähiges Herz ermöglicht.
Haben uns die Auswirkungen des Nationalsozialismus und die fatale, folgenreiche Leidenschaft für den Führer so traumatisiert, dass wir das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und gleich alle Gefühle auf ewig verdammt haben?
Wie mit fast allem kann natürlich auch mit Emotionalität und Leidenschaft Missbrauch getrieben werden. Mann muss ja nur in die Nachrichten schauen und sich vergegenwärtigen, was Fanatiker auch heute noch anrichten. Dennoch kann die Alternative doch nicht lauten: „Ab sofort alle Gefühle unterdrücken, das Herz verschließen und sich der alleinigen Oberherrschaft des Verstandes unterwerfen.“
Wenn Gefühle nicht sein dürfen und immer wieder unterdrückt werden, wenn Ängste nicht ernst genommen und Nöte nicht gehört werden, macht das unsere Seele krank. Fragen Sie die Psychotherapeuten, Coaches und das Personal der sonstigen psychiatrischen Einrichtungen, die nicht mehr wissen, wie sie dem Ansturm an seelisch/psychisch erkrankten Menschen Herr werden sollen…
Aber zurück zu dem eingangs genannten Sprichwort:
Eine wichtige Voraussetzung dafür, dem anderen nicht zuzufügen, was ich selber nicht möchte, ist zunächst einmal das Bewusstsein dafür, was ich denn eigentlich wirklich möchte und was nicht. Das setzt voraus, dass ich mir Zeit und Ruhe nehme zu reflektieren, wie es mir mit meinem momentanen Leben, meinem Lebensstil, meinem Umfeld, etc. geht – genauer gesagt: Wie es meiner Seele damit geht.
Begriffe wie „Achtsamkeit“ oder „Work-Life-Balance“ sind in aller Munde und werden beinahe inflationistisch gebraucht. Doch was genau bedeutet das eigentlich? Heißt das, nach Feierabend noch zum Volkshochschulkurs zu rennen, um einen Achtsamkeitskurs zu belegen? Oder in den vollen Terminplan auch noch den Meditationsabend zu quetschen? Oder jeden Abend zur (vermeintlichen) Entspannung den Fernseher an und den Rotwein auf zu machen?
Mit sich selber achtsam und fürsorglich umzugehen bedeutet für mich auch, innezuhalten, tief durchzuatmen und den Terminplan evtl. mal auszudünnen nach dem Motto „Weniger ist mehr!“ Mal einen ruhigen Waldspaziergang zu unternehmen, die frische Luft, das Grün, die Stille zu genießen. Das Handy zwischendurch auch mal auszuschalten. Den Tag auch emotional Revue passieren zu lassen und sich nicht nur zu fragen, ob ich alle ToDo´s erledigt habe, sondern auch, wie es mir mit der spitzen Bemerkung meines Kollegen, dem Streit meiner Kolleginnen oder der Hiobsbotschaft, die meine Freunde gerade getroffen hat, emotional geht.
Die Ruhe und der Raum zum Nachspüren laden zum Reflektieren ein. Warum hat mich eigentlich die spitze Bemerkung getroffen? Hat sie mich an meinen Vater, meinen Lehrer, an XXX erinnert, der auch immer so geredet hat? Und damals hat das richtig weh getan! Oder der Streit, der die Atmosphäre vergiftet – war die Familienatmosphäre auch durch ständigen Streit vergiftet und ich fühlte mich hilflos ausgeliefert? Muss ich mich vielleicht abgrenzen lernen? Sie können die Beispiele beliebig fortführen…
Und dann bin ich gefordert herauszufinden, was ich wirklich von meinem Leben möchte. Wie ich von anderen behandelt werden möchte. Was ich evtl. selber verändern muss, damit ich dieses Ziel erreiche. Ich bin eingeladen zu einer Entdeckungsreise zu mir selbst. Ein Prozess, bei dem vielleicht nicht nur Schönes, sondern auch Schmerzhaftes sichtbar wird und die Ursachen für meine Schwierigkeiten möglicherweise ganz woanders liegen als vermutet.
Erst dann, wenn ich mich mit meinem eigenen Inneren beschäftige und mir meiner eigenen, auch schmerzhaften oder ängstlichen Gefühle bewusst bin und nicht vor ihnen weglaufe, bin ich auch in der Lage, mich emotional auf andere Menschen und ihre Sorgen einzulassen. Erst wenn ich meine eigenen Gefühle ernst nehme, bin ich auch in der Lage, die Gefühle anderer ernst zu nehmen.
Deshalb seien Sie eingeladen innezuhalten, sich selber mit Fürsorge zu begegnen und herauszufinden, was Sie für Ihr Leben wirklich brauchen und möchten! Ich wünsche Ihnen dabei gutes Gelingen 😊!
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